In engen Serpentinen führt unser Weg bergan. Die Sonne blinzelt durch das dichte Blätterdach der Bäume, die Pferde schreiten mit kräftigem Schritt voran, und ich jauchze vor Freude. Wir sind wieder unterwegs! Rund 1.000 Kilometer Trail liegen vor uns bis zum North Cascada National Park, unserem Ziel für diesen Sommer. Endlich mal wieder eine vernünftige Distanz!
Es ist bereits Mitte August und damit eigentlich viel zu spät, um auf einen großen Ritt zu gehen. In sechs bis acht Wochen wird es in den Bergen ungemütlich werden. Dann müssen wir einen Platz zum Überwintern unserer Pferde suchen. Während der letzten Tage plagten mich viele Zweifel. Beim Abschied von unseren kanadischen Freunden war mir zum Heulen.
Unsere vier Mustangs hatten es in den letzten Jahren in Kanada sehr gutgehabt. Sie lebten in einer großen Herde auf riesigen Weiden und wir hatten volles Vertrauen zu den Menschen, die sich um sie kümmerten. Nun gehen Rusty, Dino, Azabache und Lightfoot wieder auf große Reise ins Ungewisse. Und wie immer, wenn wir etwas Neues wagen, melden sich die alten Rivalen in mir – Ängste und Zweifel kämpfen gegen Euphorie und Neugierde. Klassischerweise haben bis zum Aufbruch die negativen Gefühle die Oberhand. Ich kenne mich gut genug, nicht auf sie zu hören. Erst wenn wir tatsächlich unterwegs sind, wenn ich im Sattel sitze, mit Blick in die weite Ferne, siegt der Optimismus. Immer. Schon als ich das erste Mal vom PNT hörte, war ich begeistert. Im Gegensatz zu den anderen großen Trails im Westen der USA, dem CDT und PCT, ist der PNT noch relativ unbekannt. Nur eine Handvoll Wanderer begibt sich jedes Jahr auf den langen Weg. Mit Pferden war hier, soweit wir wissen, noch niemand unterwegs.
Wir befinden uns in den Purcell Mountains, einem abgeschiedenen und ziemlich wilden Eck im Nordwesten Montanas. Hier leben auch heute noch Wölfe und Grizzlybären. Am Wegesrand locken Heidelbeersträucher mit ihren süßen Früchten. Immer wieder steige ich ab, führe mein Reitpferd Lightfoot und gemeinsam fressen wir uns durch das Land, er rupft Gras, ich Beeren. Manchmal muss er mich anschubsen. Dann wieder bleibt er stehen, schaut zurück, zuerst links, dann rechts, denkt dann noch einen Moment darüber nach, und geht schließlich weiter. Seit 12 Jahren sind wir mit unseren Pferden unterwegs. Es ist herrlich, wenn man nach so langer Zeit nicht mehr so viel Wert auf Ordnung und Disziplin legen muss. Jeder darf seine Macken ausleben. Die Lagerplätze während der ersten Tage konkurrieren in ihrer Schönheit. Mal lagern wir am Ufer eines Sees, wo das Gras so hoch wächst, dass die Pferde darin versinken, dann wieder auf 2.000 Metern Höhe. Soweit das Auge reicht erstrecken sich Hügelketten mit smaragdgrünen Wäldern und nicht dem geringsten Zeichen von Zivilisation. Der einzige Wermutstropfen dieser Reise ist der extreme Wassermangel. Unsere Tagesetappen richten sich einzig und allein nach den Wasserquellen. Aber nicht an jeder Wasserquelle gibt es automatisch gutes Pferdefutter. Oft werden die Quellen von Kühen belagert, die das Gras rund um die Tränke auf wenige Millimeter abgefressen haben. Meistens finden wir trotzdem einen halbwegs passablen Lagerplatz. Doch am Fuß des Bussard Mountains müssen wir unser Lager aufschlagen, obwohl es kein Futter gibt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, denn die nächste Wasserquelle ist über 30 km entfernt. Günter spannt eine Highline zwischen den Bäumen, an der er die Pferde festbindet. Sie tun mir leid. Soll ich nicht zumindest Rusty frei lassen? Allein wird er sicher nicht davonlaufen, auch wenn er nur wenig Futter findet. Ich binde ihn los, meine es gut mit ihm, und begehe doch einen großen Fehler.